Jedem Dolmetscheinsatz gehen mehrere Stunden an Einarbeitung in das jeweilige Thema voraus. Aber was passiert, wenn wir uns nicht vorbereiten? Immer öfter passiert es, dass keine Unterlagen im Vorfeld zugesandt werden, auch fällt gerne mal der Satz „Ach, das wird thematisch ganz einfach“, weil es in der betreffenden Branche einfach alltägliches Fachvokabular ist. Meist können wir erfahrenden Dolmetscherinnen und Dolmetscher auf unsere Erfahrung und unser Weltwissen zurückgreifen, aber die Dolmetschqualität leidet dennoch bei nicht ausreichender Vorbereitung. Dann kann es vorkommen, dass wir während des Simultandolmetschens in der Kabine „ins Schwimmen“ geraten und den sprichwörtlichen roten Faden verlieren. Unser Décalage, also der Abstand zwischen Originalrede und Verdolmetschung, wird kürzer und wir kleben an den einzelnen Wörtern, statt rund ausformulierte Sätze zu präsentieren. Verben kollokieren nicht mehr mit den Substantiven, es entstehen sprachliche Interferenzen, und der Redefluss wird stockend. Vermeintliche Kleinigkeiten werden plötzlich zur Herausforderung: Zahlen werden ungenau wiedergegeben, man verhaspelt sich schneller, antizipiert falsch. Und wenn man es dann auch noch mit einem schnellen Redner zu tun hat, kommt man erst recht ins Schwitzen.
Anders ist es, wann man sich im Vorfeld mit dem Vortragsthema vertraut machen kann, sich inhaltlich und sprachlich darauf vorbereitet, recherchiert und im besten Fall sogar auf Erfahrungen (und Glossare) aus früheren Einsätzen zurückgreifen kann. Dann dolmetscht man wesentlich souveräner, die kognitive Belastung nimmt ab, man gewinnt an Décalage, findet eloquente Formulierungen und begleitet den Vortragenden mit einem ruhigen Redefluss. Auch wenn ich mir als Dolmetscherin nie zu 100 % sicher sein kann, was am Ende live vorgetragen wird, so erleichtert es meine Arbeit doch enorm, wenn ich mit dem Hintergrund eines Themas vertraut bin. Und das ist der Grund, warum ich stets nach Unterlagen frage.
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